Texte zu Rose Ausländer - Rose Ausländer Gesellschaft

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Texte zu Rose Ausländer

Texte zu Rose Ausländer

Alex Burkhard

Rose Ausländer: Eine leere Wohnung
Originalversion 2023-04-17

Im Oktober 1972 mietet Rose Ausländer eine Sozialwohnung in der Mönchenwerther Str. 23 an. In der
Wohnung befinden sich acht Koffer.

Im ersten Koffer: die Heimat
Grüne Mutter
Bukowina
Schmetterlinge im Haar
Trink
sagt die Sonne
rote Melonenmilch
weiße Kukuruzmilch

Rosalie Scherzer wurde 1901 in Czernowitz geboren, Hauptstadt der Bukowina, Herzogtum Österreich-
Ungarns. In ihrer Kindheit war die Stadt ein multiethnisches kulturelles Zentrum, Rosalie mittendrin,

doch während des Ersten Weltkriegs musste die Familie nach Wien fliehen. Als sie 1919 zurückkehrt
gehört die Stadt zu Rumänien. Ein Jahr später stirbt Rosalies Vater, ihre Mutter drängt sie in finanziellen
Nöten zur Ausreise,
die Verletzung atlantiktief
studiumsabbruchtief
entwurzelungstief.
Denn wo ist Heimat? Keiner weiß Bescheid.
Wo Schwalben nisten, sind wir nicht allein.

Im zweiten Koffer: die Liebe
Wir werden uns wiederfinden
im See
du als Wasser
ich als Lotusblume
Du wirst mich tragen
ich werde dich trinken
Wir werden uns angehören
vor allen Augen
In die USA begleitete Rosalie ihr Jugendfreund Ignaz Ausländer, dessen Namen sie nach der Hochzeit
annimmt. Das Gedicht schrieb sie jedoch für Helios Hecht, den sie 1926 kennenlernte, für den sie sich
scheiden ließ, mit dem sie in New York, Czernowitz und Bukarest lebte. Und der nach acht gemeinsamen
Jahren ohne ihr Einverständnis unfertige Gedichte und Handschriften veröffentlichte und aus ihnen eine
„Charakteranalyse Rose Ausländer“ ableitete. Sie trennte sich sofort und absolut von ihm, in seiner Studie
stand das nicht. Bis zum Ende schrieb sie ihm Gedichte.
Sogar die Sterne
werden sich wundern:
hier haben sich zwei
zurückverwandelt

in ihren Traum
der sie erwählte.

Im dritten Koffer: die Shoah
Vier Wochen nach Beginn des Zweiten Weltkriegs reiste Rose Ausländer aus der Sicherheit New Yorks
nach Czernowitz – ihre Mutter hatte sie um Pflege gebeten. Im selben Jahr war ihr erster Gedichtband
„Der Regenbogen“ erschienen, in Deutschland wurde das Buch einer Jüdin nicht mehr zur Kenntnis
genommen.
1940 besetzten sowjetische Truppen Czernowitz, sie wurde wegen Spionageverdachts verhaftet. 1941
besetzten mit Deutschland verbündete rumänische Truppen Czernowitz, ein Ghetto wurde eingerichtet.
Das Haus, in dem sie mit ihrer Mutter lebte, befand sich mitten darin. Immer wieder wurden Verwandte
und Bekannte verschleppt und getötet, über Jahre musste Rose Ausländer um ihr Leben fürchten.
Wenn der Tisch nach Brot duftet
Erdbeeren der Wein Kristall
denkt an den Raum aus Rauch
Rauch ohne Gestalt
Noch nicht abgestreift
das Ghettokleid
sitzen wir um den duftenden Tisch
verwundert
daß wir hier sitzen

Im vierten Koffer: das Exil
Ein Tag im Exil
Haus ohne Türen und Fenster
Auf weißer Tafel
Mit Kohle verzeichnet
Die Zeit
Im Kasten
Die sterblichen Masken
Adam
Abraham
Ahasver
Wer kennt alle Namen
Die UdSSR annektierten Czernowitz, die Bevölkerung durfte ausreisen, über Bukarest landete Rose
Ausländer wieder in New York, wo sie fast zwanzig Jahre lebte. Sie verließ jedoch kaum ihr Viertel,
pendelte zwischen ihrer Arbeitsstelle als Fremdsprachenkorrespondentin und ihrer Wohnung. Sie wurde
nie heimisch, wohnte möbliert oder bei Freunden, ihre Koffer stets gepackt, von der Heimat träumend –
die für sie, manifestiert auch durch den Tod der Mutter 1947, nicht mehr existierte.
Ein Tag im Exil
Wo die Stunden sich bücken
Um aus dem Keller
Ins Zimmer zu kommen
Schatten versammelt
Ums Öllicht in ewigen Lämpchen
erzählen ihre Geschichten
Mit zehn finstern Fingern

Die Wände entlang

Im fünften Koffer: die Sprache
Mein Vaterland ist tot
sie haben es begraben
im Feuer
Ich lebe
In meinem Mutterland
Wort
Rose Ausländers Sprache war klar und ungekünstelt, ihre magische Schlichtheit lässt ihrer Wirkung
Raum. Sie selbst schrieb an eine Freundin, ihre Verse seien „Fragen ans Leben (Erde) und der Wunsch
(die Bitte) nach etwas Stabilem, Immanentem im erschreckenden Dahinströmen,
Hinweggeströmtwerden“.
In New York schrieb sie Englisch, bevor die Dichterin Marianne Moore sie 1956 ermutigte, wieder auf
Deutsch zu dichten, weil die besten Gedichte nur in der Muttersprache entstünden. Ein Jahr später
begegnete sie Paul Celan, der sie mit der Deutschen Moderne bekannt machte.
Die alte Sprache
kehrte jung zurück
Unser verwundetes
geheiltes
Deutsch

Im sechsten Koffer: die Unrast
Ich war einmal anders
sagst du dem Spiegel
er glaubt es dir nicht.
Im Dezember 1961 wurde Rose Ausländer krankheitsbedingt Rentnerin. Sie sehnte sich nach dem
deutschen Sprach- und Kulturraum, siedelte erst nach Wien über, 1965 nach Düsseldorf, kurz darauf
erschien ihr zweiter Gedichtband „Blinder Sommer“, 26 Jahre nach dem ersten. 1967 erhielt sie einen
renommierten Lyrik-Preis, ihre Gedichte wurden in Zeitungen abgedruckt und im Radio gelesen.
Bis 1972 war sie konstant auf Reisen: Lesungen, Kongresse, Bildungsreisen, Kuraufenthalte. Kleine
Glücksmomente wechselten sich ab mit körperlicher Auszehrung, die Hektik des Nomadenlebens machte
ihr zu schaffen. „Jede Reise endet mit Krankheit und Erschöpfung“, schrieb sie der Freundin, trotzdem
plante sie immer neue Besuche und Aufenthalte.
Mit meinem Seidenkoffer
reise ich in die Welt

Im siebten Koffer: das Jetzt
Kommen Menschen
mit vielfarbnen Fragen
Geht zu Sokrates
antworte ich

Die Vergangenheit hat mich gedichtet
ich habe
die Zukunft geerbt
Mein Atem heißt
jetzt
Ich sitze im ICE nach Düsseldorf, als ich den Briefwechsel Rose Ausländers mit ihrer Freundin Ursula
Ratjen lese. Nach Hunderten Gedichten, nach Biografien, Artikeln und Nachrufen berühren mich diese
Briefe am Meisten, vielleicht weil sie nicht bis zu fünfundzwanzig Mal überarbeitet sind. In Echtzeit
bekomme ich die Phase Anfang der Siebziger mit, als ihr Körper sagt: genug. Ihre Seele sich öffnet und
sich das Erlebte aus sieben Jahrzehnten Bahn bricht.
Im Oktober 1972 mietet Rose Ausländer eine Sozialwohnung in der Mönchenwerther Str. 23 an. In der
Wohnung befinden sich acht Koffer. Freunde haben sie in die Wohnung getragen. Sie selbst liegt nach
einem Unfall in der Klinik, von dort wird sie auf der Pflegestation des Nelly-Sachs-Hauses, dem
Elternhaus der jüdischen Gemeinde, aufgenommen. Ende 1973 tragen ihre Freunde die Koffer aus der
Wohnung. Rose Ausländer hat sie nie betreten.
Im Nachwort zum Briefwechsel schreibt Helmut Braun: „Rose Ausländer hat nicht in Düsseldorf gelebt.“
Was jetzt ein bisschen blöd ist, weil ich sie als Düsseldorfer Autorin vorstellen wollte. Und die Fakten
sprechen für mich: Sie war 22 Jahre lang hier gemeldet und hat den größten Teil ihres Werks hier verfasst.
Doch die Stadt kommt, anders als andere Wohnorte oder Reisestationen, nicht in ihren 2.500 Gedichten
vor; sie wollte von Beginn an wieder weg, hat sich konkret für eine Wohnung in München beworben;
wenn sie hier war, dann auf Durchreise, mit neuen Plänen zum Aufbruch. Die Entscheidung für
Düsseldorf war aus Pragmatismus gefallen: hier lebten einige Menschen aus Czernowitz.
Die Entscheidung für Düsseldorf ist aus Pragmatismus gefallen: hier lebte meine Freundin. Ich zog in die
Stadt in der Annahme, dass ich hier nicht ewig bleiben würde. Während ich den Transporter
beeindruckend sicher rückwärts in die enge Einfahrt bugsierte, träumte ich von einem Haus im Grünen.
Während ich meine acht Koffer in unsere Wohnung trug, liebäugelte ich mit Jahren im Ausland. Während
ich die Küche einbaute, überschlug ich ihren Wiederverkaufswert. Die Charakteranalyse Alex Burkhard
fällt nicht vorteilhaft für mich aus.
Die Auseinandersetzung mit Rose Ausländer ist absolut. Nichts nebenher. Ich schreibe zwanzig Seiten
voll. Noch mal zehn. Noch mal. Lese. Schreibe. Suche. Wo bin ich ihr nah? Im Rastlosen? Ich schäme
mich. Arbeite mich ab an ihr. Arbeite. Leere Wohnung. Isolation. Sie flüchtet, Koffer, ich flüchte.
Verluste? Heimat, Mutter. Schäme mich. Suche. Suche. Im Absoluten finde ich sie. Im
Nichtanderskönnen. Im Einenausgangsuchen. In den Worten. Worte.

Im achten Koffer: das Ende
Wirf deine Angst
in die Luft
Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Das letzte räumliche Extrem ist ihr Bett. Nach 15 Jahren Verwurzelung und Bindung, fast fünfzig Jahren
des gleichzeitig Ein- und Ausgesperrtseins, nach Jahren der ruhelosen Suche nach dem Verlorenen,
konzentriert sich nun alles auf knapp zwei Quadratmeter.
Helmut Braun begleitet sie in diesen Jahren. 1975 hat er einen literarischen Verlag gegründet und sie zum
ersten Mal besucht. In kurzer Folge veröffentlicht er zahlreiche Gedichtsammlungen, nach einer
Rezension in der SZ hagelt es Aufmerksamkeit und Preise.
Rose Ausländer ist das alles schön und willkommen, doch der Alltag, das Interesse und der Kontakt
bereiten ihr größte Mühe. Im Dezember 1977 erklärt sie sich selbst für bettlägerig und isoliert sich immer
mehr von ihrer Umwelt; das einzige, das sie noch interessiert, ist ihre Lyrik.
Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da
Sei was du bist
Gib was du hast
Jeden Freitag um 18:45 Uhr kommt Helmut Braun, sie diktiert ihm Gedichte, er bringt ihr abgeschriebene
Versionen mit, die sie umarbeitet, akribisch, wach, stoisch. Ab 1984 ist Braun neben ihrem Bruder und
dem Pflegepersonal der Einzige, der sie noch besuchen darf, sie schreibt und schreibt, bis sie kein
Bedürfnis mehr hat, zu schreiben. Bis alles geschrieben ist. Mit 85 Jahren entsteht ihr letztes Gedicht.
Gib auf
Der Traum
lebt
mein Leben
zu Ende

Rose Ausländer. Acht Koffer. Was für ein Leben.


Gregor Kuntze-Kaufhold

Noch bist Du da

Ich hätte Dich wirklich gerne abgeholt. War leider zu schwach an diesem Tag. Ich meine nicht
die Muskeln. Die waren stark. Auch nicht den Plan, der war gut. Eigentlich. Wäre nicht das
Pech dagewesen. Es war nicht schwarz, dieses Pech. Es war blau. Es troff nicht heiß auf einen
Angreifer, der sich vor das Burgtor wagt. Es stand mit vier Rädern auf einem Parkplatz. Vor
dem Frachtflughafen. Hatte die Gestalt eines VW Kombi. Ich erkannte es nicht. Wusste nicht,
was das bedeutete. Hatte keine Ahnung, dass der meistgefürchtete Zollbeamte mit seiner
gehassten Spätschicht begonnen hatte.
Er saß im Gebäude wie eine zu dicke Gottesanbeterin und wartete auf die Beute, die ihm
sein Tag bringen sollte. Die Beute war ich.

Wirf Deine Angst in die Luft

„Was bringen Sie mir da Schönes?“ Ich dachte nach. Hatte ich die Zollbeamtin schon einmal
gesehen? Sie strahlte. Es galt nicht mir. Oder besser gesagt: Nicht mir als Person, erst Recht
nicht mir als Mann, und schon gar nicht mir als jemandem, der seiner Verpflichtung
nachkam, ein Gut zu verzollen. Aus ihren nussbraunen Augen funkelte die Lebensfreude. Sie
mochte Ende Zwanzig sein. Ihre blonden, glatten Haare hielt ein schmuckloses Bändchen
hinterm Kopf so eng zusammen, dass ihr Gesicht, das zur ovalen Form neigte, etwas
Schablonenhaftes bekam. Mit ihrer Uniform verhielt es sich umgekehrt. Obwohl sie
vorschriftsmäßig gekleidet war, in langer blauer Hose und kurzärmeligem Hemd, auf dessen
Rückseite in Großbuchstaben „ZOLL“ prangte, ging nichts Uniformes von ihr aus. Woran
mochte das liegen? Ihre Nase war lang, aber schlank, und wirkte seltsam fleischlos, als ob sie
nicht zu einem Sinnesorgan gehörte, sondern dafür da wäre, zwischen Mund und Auge zu
vermitteln. Auch ihr Mund kam mir, als sie lachte und ihre weißen, regelmäßigen Zähne
zeigte, merkwürdig unsinnlich vor. Ob es an der dicken Fensterscheibe lag, die sich zwischen
uns befand? Umso mehr fing mich ihr Blick ein. Er war neugierig, offen. „Was bringen Sie mir
da Schönes?“ Ihre Frage schien nach etwas Fremdem zu verlangen. Wie ein Gruß, der in
weiter Ferne schwingt. „Eine Büste!“ sagte ich, und schob nach: „Eine Porträt-Büste bringe
ich Ihnen. Von Rose Ausländer.“ Ich erwartete den Ausdruck eines Erstaunens. Sei es der
Freude, die Eingeweihte überfällt, wenn sie sich an einem Zeichen erkennen, das sie
verbindet. Sei es – was wahrscheinlicher war – der Neugier. Sie wollte vielleicht mehr
erfahren. Ich stellte mir vor, wie ich ihr erzählen würde, dass Düsseldorf zweimal beschenkt
wurde. Erst durch die Dichterin selbst, die den Nordpark zum Blühen brachte. Bis sie starb,
1988. Jetzt durch die Büste, die ebendort aufgestellt werden sollte. 33 Jahre später.
Es kam wirklich zu einem Ausdruck des Erstaunens. Aber nicht in ihrem, sondern in meinem
Gesicht. Nämlich als sie fragte: „Privat oder gewerblich?“ Ich fühlte mich wie in einem
Bewerbungsgespräch. Das war kein gutes Zeichen. Ich hatte mal gepatzt. Woran hatte es
damals gelegen? Während ich noch überlegte, sprudelte aus mir heraus: „Weder noch.“ Das
war eine schlechte Antwort. Das sah ich sofort. Der dickliche Zollbeamte, der an seinem

Schreibtisch gegenüber der jungen Zollbeamtin saß, zuckte. Es war nur der Hauch einer
Bewegung, fast unmerklich. Wie bei einer Gottesanbeterin, durchfuhr es mich. Als wäre sie
ihrer Witterung nicht sicher. Ich musste die Zollbeamtin schnell auf meine Seite ziehen.
Bevor mich der Bannstrahl der Gottesanbeterin traf. Aber wie? Ich tat, als hätte ich den
Zollbeamten nicht gesehen. Dabei beherrschte er mit seinem Blick den ganzen Raum. Nur
ein Idiot konnte diesen Blick übersehen. Oder ein Tagträumer wie ich. Ich konzentrierte mich
voll und ganz auf die junge Zollbeamtin. Buhlte um ihr Interesse: „Es ist ein Geschenk. Die
Büste soll im Nordpark aufgestellt werden. Zum Gedenken an Rose Ausländer. Der Dichterin.“
Und schon machte ich mir selbst wieder Mut. Wer weiß, vielleicht war meine Antwort gar
nicht so dumm? Vielleicht fiel gar kein Zoll an? Es ging ja um ein Kulturgut, das für den
öffentlichen Raum bestimmt war. Warum sollte man Dinge, die allen zugutekommen, mit
Abgaben belasten? Wäre das nicht widersprüchlich? Würde der Staat sich damit nicht selbst
besteuern? Die Zollbeamtin ließ in mir Hoffnung aufkeimen: „Oh, im Nordpark! Das freut
mich sehr. Da geh‘ ich oft joggen.“ Die erste Person, die sich über das Geschenk freute!
Meine Laune stieg. Die Einfuhr der Büste war auf einem guten Weg. Dachte ich. Und
täuschte mich gründlich. Vom Zoll war ein anderer Weg vorgesehen.
Die Zollbeamtin wies in mir: „Haben Sie schon das Einfuhrprotokoll?“ Ich schluckte: „Nein, ich
wurde direkt zu Ihnen geschickt. Wegen des Stempels. Ich dachte, Sie könnten mir
weiterhelfen. Den brauche ich, um die Büste abzuholen.“ Schüchtern fügte ich hinzu: „Wieso
muss ich dafür jemanden beauftragen?“ Mir dämmerte eine Anti-Odyssee: Einer, der nicht
listig genug ist, um als Held durchzugehen, wird auf eine Tour ohne Ende geschickt. Auf dem
Weg besiegt er nichts und niemanden. Genauso kam es auch.

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Erst später erfuhr ich, warum jeder, der an einem deutschen Frachtflughafen irgendetwas,
das durch den Zoll muss, abholen will, einen Einfuhrspediteur braucht. Der Einfuhrspediteur
fährt die Ernte ein. Digital. Der Zoll muss nur noch die Hand aufhalten. Wieder digital. Analog
ist nur der Idiot, der den Einfuhrspediteur braucht. Ich meine Idiot im Sinn von Einzelnem,
der das System am Laufen hält. Und dabei laufen muss. Warum aber braucht man laufende
Idioten? Ich hatte viel Zeit, mir diese Frage zu stellen. Lief nämlich mehrere Stunden durch
die kerkerähnlichen Gänge und Gebäudeteile. Habe auch eine Antwort gefunden. Doch
davon später.

In den schier endlosen Fluren warteten kryptische Buchstaben in schummrigem Licht auf
ihre Entzifferung. Es gelang mir nicht. Man muss sich den Düsseldorfer Frachtflughafen als
Reptil vorstellen. Eines, das es nicht mehr gäbe, wenn ein Fachkundiger in den letzten 20
Jahren einen Blick darauf geworfen und etwas zu sagen gehabt hätte. Vermutlich war das
niemandem gelungen. Unmengen zu befördernder Frachten versperrten ja den Blick auf das
Gebäude. Bis die Pandemie kam. Das Reptil, das, architekturgeschichtlich gesehen, längst
hätte ausgestorben sein müssen, hatte bis dahin überdauert. Es war vom Artensterben
übersehen worden. Bis ins Frühjahr 2020. Was wollte man von einem Frachtflughafen mehr,
als dass er funktionierte? Die Abholer mussten so oder so kommen. Lounges wurden nicht
benötigt. Nun war das Reptil einsam geworden. Es röchelte. Hinter den schweren,
zweiflügeligen Eisentüren wand es sich, schnaufte und delirierte. Ich stellte mir vor, dass
seine Lungen Flugzeugturbinen waren, die alles und jeden ansaugten, der in ihre Nähe kam.
Habe ich schon gesagt, dass einsame Flure meine Phantasie anregen? Sicherheitshalber
vergrub ich meine Hände in den Hosentaschen. Es klappte. Ich kam an den Eisentüren
vorbei. Fühlte mich, als hätte ich gefährliche Klippen umschifft. Ohne Gefährten. Ohne
Ruhm. Aber immerhin. Endlich fand ich eine Treppe. Sie führte in die oberen Stockwerke des
Nachbargebäudes. Mitten auf der Treppe, im Nirgendwo zwischen zwei Gebäudeteilen,
stand Kirke vor mir. Kirke war der rauchende Angestellte eines Frachtunternehmens. Er
meinte, sie hatten noch Glück gehabt. Es gab keinen Lockdown für die Frachteinfuhr. Aber
traurig war es, wie 90% des Geschäfts wegbrachen. Und es sei immer noch leer im Vergleich
zu früher. Kirke verwandelte nur seine Zigarette zu Asche, und war doch ein Lichtblick. Ich
sah ihn mehrmals, weil er viel rauchte und ich viel lief.
Das Gebäude glich einem Irrgarten. Die Beschilderung war ein Vexierspiel. Ich hatte darauf
vertraut, dass alles gut organisiert sein würde. Für die Abholung hatte ich eine Stunde
veranschlagt. Das war illusorisch. Schon jetzt. Meinen Besuch im Gerhart-Hauptmann-Haus
würde ich verschieben müssen. Ich hatte ihn ein paar Tage vorher angekündigt. Die Büste
wurde dort erwartet. Sie musste vor ihrer Aufstellung provisorisch eingelagert werden.
Gerhart Hauptmann hatte Rose Ausländer ein Obdach gewährt. In seinem Haus! Bildete ich
mir ein. Es war eine schöne Einbildung. Als hätten die Beiden eine Verabredung. Eine airbnb-
Einladung, einfach, unkompliziert.
Die Träumerei hatte mich abgelenkt. Von Anfang an. So sehr, dass ich auf die Abholung der
Büste miserabel vorbereitet war. Meine Gedanken hatten zu lange um die Begrüßungsrede
gekreist. Längst hätte ich darüber nachdenken sollen, welche Waffen im Überlebenskampf
nützlich wären. Ich tat es nicht. Wusste nicht, dass ich eine Fliege geworden war, der man
einen Flügel ausgerissen hatte. Es war ein Experiment. Die einflügelige Fliege sollte sich in
einer lebensfeindlichen Umgebung behaupten. Man würde sehen, wie lange. Und ob sie sich
beim Einfuhrspediteur neue Flügel würde besorgen können.
Endlich fand ich den Zugang ins angrenzende Gebäude. Es glich aufs Haar dem ersten.
Ebenso verlassen. Genauso laborähnlich. Ob es an der Nachmittagszeit lag? Oder an den
Auswirkungen der Pandemie? Nur eines schien klar: Ich war der einzige, der einen
Einfuhrspediteur suchte. Warum bloß? Wo waren die anderen Fliegen? Der Linoleumboden
verschluckte jedes Geräusch von Schritten. War er dazu geschaffen worden?
Am Ende des Gangs traf ich auf schmucklose Bürotüren. Ich klopfte wahllos an eine von ihnen.
Erst geschah nichts. Ich öffnete sie vorsichtig. Zwei Menschen standen im Raum. Sie
reagierten höflich. Nein, sie seien keine Einfuhrspediteure. Wüssten aber, wo man die fände.
Nicht weit entfernt, ein paar Räume weiter. Dort klopfte ich nochmals. Man bat mich herein.
In einem kleinen Büroraum befand sich ein hüfthoher Tresen. Dahinter standen zwei ältere
Herren, die über ihre Computer hinweg ein lebhaftes Gespräch führten. Sie unterbrachen
sich. „Ja, Sie wünschen?“, fragte der ältere von beiden. Er war weißhaarig und sprach
bedächtig. Ich erklärte, die freundliche Beamtin vom Zoll habe mich geschickt, ich solle eine
Anmeldung machen. Es ginge um eine Büste. Ich wollte sie abholen. „Ja, das ist richtig so.“ Er
fragte mich nach den Frachtpapieren. Ich händigte sie ihm aus. Diesmal schien alles zu
klappen. Vielleicht würde sich die Verabredung mit Gerhart noch halten lassen? Der
Einfuhrspediteur wiegte den Kopf hin und her: „Ich muss Ihnen sagen, dass die Anmeldung
70 Euro kostet und rund eine Stunde dauert.“ Ich schluckte. Erstens wegen der Kosten.
Zweitens wegen der Dauer. Drittens, weil eine Erinnerung in mir aufstieg. Dunkel anfangs,
dann deutlicher werdend.
Da war die Reise nach Marokko, die ich als 18-Jähriger unternommen hatte, 1987. Ich war
naiv, aber mutig. Mut gehörte dazu, wenn man mit dem Interrail-Ticket nach Marokko
wollte. Das Interrail-Ticket war eine fabelhafte Sache. Man hatte vier Wochen Zeit, um
Europa mit der Bahn zu bereisen. Vier Wochen waren nicht genug, um die gesamte Strecke
zu schaffen. Also musste man sich entscheiden. Ich hatte mich, gemeinsam mit einem
Schulfreund, für die Südwest-Route entschieden. Die hatte den Vorteil, dass man noch ein
Stück der Welt außerhalb Europas bereisen konnte. Marokko klang märchenhaft. Die Welt
vom Kalifen Storch und vom kleinen Muck. Eigentlich hätten uns die Nachrichten, die wir von
anderen Interrailern erhielten, abschrecken müssen. Marokko galt als gefährlich. Nirgends
werde man öfters ausgeraubt als dort. Wir wollten es wissen. Und was geschah? Wir wurden
ausgeraubt. Aber anders als gedacht.
Wir hatten Tanger schnellstmöglich verlassen. Die Hektik im Hafen hatte uns verängstigt. Ein
Taxi fuhr uns die Küstenwüstenstraße entlang. Bis wir in einem weißgetünchten Dörflein
landeten: Asilah. Der Campingplatz lag direkt am Strand. Asilah war ein Idyll. Wir verloren
unseren Argwohn. Ein Student, der von seiner Cousine in Hamburg oder Frankfurt erzählte,
brachte uns ins Geschäft seines Onkels. Wir wurden mit frischem Tee und Gebäck bewirtet.
Fühlten uns wie Weltenbummler. Der Onkel rollte ein paar Teppiche aus. Die passten nicht
in unsere Rucksäcke. Also zeigte er uns Stoffe aus der Fabrik eines Verwandten. Der
produzierte vor Ort. Beste Qualität. Ein Spezialpreis für uns. Ich kaufte eine Schreithose,
mein Schulfreund Hemd und Hose. Auf dem Rückweg, kurz vor dem Campingplatz, sahen
wir, dass die gleichen Hemden und Hosen in den umliegenden Geschäften hingen. Halb so
teuer. Wir waren hereingelegt worden. Von einem Kaufmann, der uns nicht für voll
genommen hatte. Damals hatte ich mir etwas geschworen. Ich wollte die Neugier behalten.
Aber die Blauäugigkeit ablegen. In Ländern außerhalb Deutschlands ist das gar nicht schwer.
Du lässt durchblicken, dass Du die Geschichten, die aufgetischt werden, durchschaust. Und
schon wirst Du ernstgenommen und darfst mitspielen. Das Spiel hat einfache Regeln. Wenn
alle mitspielen, hat es einen hohen Unterhaltungswert. Es funktioniert weltweit. Außer in
Deutschland.
In Deutschland mag man keine Geschichten, die vom Leben erzählen, wie es ist oder sein
könnte. Lieber füttert man Reptilien mit Fliegen, die DINA-Saurier-Formulare von einem
Gebäude A in ein Gebäude B schleppen. Das ist ein Spiel, das schlecht zu durchschauen ist.
Hat man es verstanden, ist es meistens schon zu Ende. Man erfährt dann, dass man ein Idiot
war. Weil man mitgespielt hat. Wem, außer einem Reptil, macht dieses Spiel Spaß? Ich weiß
es nicht. Habe aber eine Vermutung: Es geht nicht um Spaß. Es geht um das, was übrig
bleibt, wenn die Sehnsucht nach dem Leben verloren gegangen ist. Hinausgetrieben. Was
bleibt, ist die Sehnsucht nach Kontrolle. Kontrolle über das Leben. Das Formular, das von den
einflügeligen Fliegen vom Gebäude A ins Gebäude B geschleppt wird, soll keinen Zweck
erfüllen. Es ist der Zweck. Ein verstümmelter, aber immerhin. Solange die Fliegen schleppen,
können die Spieler an sich glauben. Daran, dass sie die Kontrolle über das Leben haben.
Daran klammern sie sich. Wie konnte ich aus dem falschen Spiel heraus und in das andere,
das richtige, hineinkommen? Gar nicht! Ich musste mitspielen. Notgedrungen. Das war ich
Rose Ausländer schuldig.
Ich schluckte noch einmal und sagte: „Ja, wenn es so sein muss, machen wir das. Einen
anderen Weg gibt es ja wohl nicht.“ Der Einfuhrspediteur nickte und nahm die notwendigen
Angaben auf. Den Namen des Künstlers, der die Replik erstellt hatte. Das Material, den
Ankaufpreis. Den Einführenden mit Anschrift. „Das bringen wir jetzt zur Anmeldung“,
erklärte er mir. Ich könne in ca. einer Dreiviertelstunde wiederkommen. Ich verstand nicht,
weshalb man fast eine Stunde brauchte, um einen Satz von dreißig oder vierzig Zeichen ein
paar Räume weiterzubefördern. Zumal, wenn die Räume digital waren. Schluckte noch
einmal. Dann nutzte ich die Zeit für einen Gang zum Parkplatz.
Mein Fahrrad stand unverändert an der Leitplanke für LKW. Dort hatte ich es angeschlossen.
Fahrradabstellplätze gab es nicht. Wer kommt schon mit einem Fahrrad auf einen
Frachtflughafen? Ein paar Meter weiter stand Kirke und rauchte. Ich fragte ihn, ob er sich mit
der Einfuhrspedition auskannte. Nein, meinte er, das sei ihm zu kompliziert. Das konnte ich
verstehen. Kirke war ein netter Kerl. Er kümmerte sich um Dinge, die er beeinflussen konnte.
Aus allem anderen hielt er sich raus. Zigaretten konnte man beeinflussen. Man brauchte sie
nur zu Ende rauchen, ihrer Bestimmung gemäß. Das Feuer war nie weit entfernt, aber man
konnte sehen, wo es aufhörte. Es war einfach, eine lebensrettende Distanz zu ihm
einzuhalten. Beim Zoll war das anders. Ich hätte mir gewünscht, dass Kirke mich verwandelt.
Leider gelang ihm das nicht. Kein Wunder. Zigaretten schmeckten mir noch nie, und mit
lebensrettenden Distanzen habe ich es auch nicht so. Keine Ahnung, wie ich bislang durchs
Leben gekommen bin. Vielleicht bin ich längst ein Avatar meiner selbst, habe es bloß noch
nicht gemerkt. Wenigstens hat mein Avatar kein Ringelschwänzchen. Er grunzt auch nicht,
das wäre mir aufgefallen. Ich habe also keinen Grund, mich zu beschweren.
Eine halbe Stunde später trat ich – oder mein Avatar – wieder beim Einfuhrspediteur ein. Er
setzte eine geschäftige Miene auf. Die Spedition sei erfolgreich abgewickelt worden. „Das
sind dann 58,82 Euro. Zuzüglich Mehrwertsteuer. Macht 70 Euro.“ Ich schaute ihn an,
zögerte. Dachte an Asilah. Damals hatten wir den Onkel ein zweites Mal besucht, auf der
Rückreise. Wir wollten uns an ihm schadlos halten. Beim ersten Besuch hatte er eine
Einladung ausgesprochen, zu einem landestypischen Essen. Die nahmen wir nun an,
nachträglich. Er war sichtlich verdutzt. Tischte uns aber Couscous und Hühnerbeine auf. Die
Einladung war ein heiliges Versprechen. Er war Orientale und konnte sie nicht
zurücknehmen. Wir nutzten das schamlos aus. Machten ihm sagenhafte Import-Export-
Vorschläge. Er durchschaute unsere Geschichten natürlich, war aber zu höflich, uns die Tür
zu weisen. Damals streiften wir die Haut der Greenhorns ab. Ich streckte mich. „Kann ich
noch irgendetwas für Sie tun?“ Der Einfuhrspediteur holte mich aus meiner Grübelei zurück.
Worum ging es? Hier und jetzt? Nicht um meine Haut. Es ging um Rose Ausländer. Sie hatte
die Shoah überlebt. Hatte einen Ort gesucht, an dem deutsch gesprochen wurde. Um ihre
Stimme nicht zu verlieren. In Wien war es ihr unmöglich gemacht worden. Am Rhein fand sie
ihn. Der Einfuhrspediteur war kein Unmensch. Er hatte gefragt, wer sie war. „Nein, ich
glaube nicht. Vielen Dank.“, antwortete ich ihm. Mochte er selbst lesen.

Noch duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Beschwingt lief ich ins Zollgebäude zurück. Ich fühlte mich gewappnet. Meine Phantasie
blühte wieder auf. Der alles verschluckende Linoleumboden wurde zu Marmor. Ich flog
durch ein Naturkundemuseum. Würde es bald verlassen. Der Abfertigungsbereich mit seinen
Eisentüren war kein Labor oder Kerker mehr. Er war der Eingang zu einer Bühne, auf der das
Leben spielte. Ich landete. Zog wie ein Gladiator die Eisentür auf. Trat in den Raum, wo der
Stempel auf mich wartete. Vor den Schalter mit der Glasscheibe. Das war ein Fehler. Der
dicke Zollbeamte fertigte gerade eine Afrikanerin ab. Sie hatten zwei Kinder bei sich, eines
schöner geschmückt als das andere. Neben ihr, vor dem Schalter der jungen Zollbeamtin,
stand eine zweite Afrikanerin. Sie hatte ein Kind bei sich. Die junge Zollbeamtin gab mir
freundlich ein Zeichen zum Warten. Ich stellte mich hinter die zweite Afrikanerin. Schwelgte
in Farben und bunten Mustern.
Die Gottesanbeterin sah ich nicht kommen. Sie schoss mit beeindruckender Geschwindigkeit
hinter der Glaswand hervor. Ich verharrte wie gebannt. Hätte sie mich in diesem Augenblick
gepackt, es wäre mit mir vorbeigewesen. Sie aber blieb stehen, untersetzt, massig, mit
glühenden Augen. Vom einen auf den anderen Moment verwandelte sie sich in einen
Löwen. Der Löwe brüllte: „Können Sie nicht lesen? Das sind zu viele hier drin!“ Der Löwe
konnte nicht das Virus meinen. Sein Brüllen musste der Herde gelten. Die war zu groß. Das
Jagen machte ihm Schwierigkeiten. Ich zog mich vorsichtig zurück. Schritt für Schritt. Ließ ihn
nicht aus den Augen. Verließ rückwärts das Abfertigungs-Terrain. Wartete vor den
Eisentüren. Eine halbe Stunde später kam eine der Afrikanerinnen mit zwei Kindern heraus.
Was war mit den anderen geschehen? Ich zog vorsichtig die Tür wieder auf. Die andere
Afrikanerin stand samt Kind am Schalter der jungen Zollbeamtin. Sie sahen unversehrt aus.
Aber es schien Probleme zu geben. Ein neuerlicher Rückzug war angebracht. Ich wollte den
Schalter der Zollbeamtin nutzen, sobald er frei würde. Aber es war zu spät. Der Zollbeamte
war in sein Gottesanbeterinnen-Kleid zurückgeschlüpft. Winkte mich zu sich. Ich musste ihn
anblicken. Kurz nur. Da war ich schon gebannt. Die Gottesanbeterin zog mich mit ihrem Blick
magisch zu sich an den Schalter. Ich gab ihr das Einfuhrbeförderungspapier, das mir der
Spediteur gegeben hatte. Den Sinn dieser Prozedur verstand ich immer noch nicht. Das stand
mir allzu deutlich auf der Stirn. Die Gottesanbeterin las meine Gedanken. „Da hat der
Spediteur Murks gemacht! Es fehlt die Angabe zum Material. So kann ich das nicht
bearbeiten.“ „Es ist eine Bronze-Büste. Vielleicht tragen Sie das einfach ein?“ Meine Renitenz
machte den Zollbeamten wieder zum Löwen. Zack. Er brüllte: „So geht das nicht! Das sind
Ihre Angaben. Die müssen stimmen!“ Die Situation wurde brenzlig. Ich versuchte es mit
Besänftigung: „Sagen Sie mir bitte, was Sie brauchen, ich bestätige Ihnen das.“ Der Löwe
richtete sich auf. Fauchte: „Ich sage Ihnen gar nichts! Dafür haben Sie Ihren Spediteur!“
Plötzlich verstand ich das Spiel. Der Zollbeamte wollte mich nicht fressen. Er wollte mich
mürbe machen. Ich hätte ihn fragen wollen: „Schmecken Ihre Opfer besser, wenn sie sich die
Beine abgelaufen haben?“, dachte aber wieder an Rose Ausländer. Ich war ihre Geisel. Eine
absurde Vorstellung, ich weiß. Aber so sind meine Gedanken manchmal. Vor wie vielen
brüllenden Löwen mag sie gestanden haben? Wie war sie an ihren Popovic-Ausweis
gekommen? Der hatte ihr das Leben gerettet. Damals, im Ghetto von Czernowitz. Und ich
sollte heute den Einzug ihrer Büste durch gekränkte Eitelkeit gefährden? Nein, ich hatte
keine Wahl. Wortlos nahm ich die Beförderungspapiere an mich und ging zum
Einfuhrspediteur zurück. Ich fand ihn nach längerem Suchen wieder. Er wusste Bescheid. Die
Gottesanbeterin hatte ihn informiert. Die Büste hatte eine falsche Nummer bekommen. So
konnte sie nicht verarbeitet werden. „Ich verstehe, dass man hierzulande eine Nummer
braucht, um eine Einfuhr zu befördern“, sagte ich. „Aber warum muss man dafür durch ein
Labyrinth laufen?“ Dem Einfuhrspediteur schien das Ganze peinlich zu sein. Das wunderte
mich nicht. Ich hatte ihn dafür bezahlt, dass er mir half. Er sollte die Einfuhr der Büste
befördern. Die Reptilien und Gliederfüßer im Frachtflughafen fraßen nun einmal gerne
Nummern. Und warum auch nicht? Es war doch gut, dass die Nummern in Computern
eingespeichert wurden und nicht in Arme eingraviert. Allzu schwer konnte es nicht sein, die
falsche Nummer durch die richtige zu ersetzen. Sie war ja digital. Man musste nichts
ausradieren oder auslöschen. Nur eine gespeicherte Information austauschen. Das war viel
einfacher, als eine tätowierte Nummer abzuändern. Etwas arbeitete in dem
Einfuhrspediteur. Ich weiß nicht, welche Gedanken er sich machte. Vielleicht dachte er an
Rose Ausländers Ehenamen? Das Fremdsein, das die Dichterin mit sich trug, ragte in den
Raum hinein. Unsere Gedanken mussten sich an irgendeiner Stelle gekreuzt haben. Er
wechselte abrupt den Tonfall: „Können Sie nicht morgen wiederkommen?“ Ich glaubte, mich
verhört zu haben. „Wieso?“ „Weil Sie Pech haben. Sie haben es mit einem Beamten zu tun,
der im gesamten Frachtflughafen für seine Schikanen bekannt ist.“ Er sprach offenbar von
der Gottesanbeterin. „Wenn wir den blauen Passat auf dem Parkplatz sehen, ist der Tag für
uns gelaufen.“
Die Gottesanbeterin war also in einer blauen Kutsche angereist. Sie schien sich sicher zu
fühlen. Was mochte sie in der Nachtschicht anstellen? Hielt sie in den Hallen des
Frachtflughafens Tribunale gegen alles Fremde ab? Ich konnte mir das gut vorstellen: „Nein!
Nichts kommt rein! Kein malariaverseuchtes Obst aus Afrika! Keine Terroristen-Dattel aus der
Türkei!“ Es war klar – Rose Ausländer hätte keine Chance. Ich blieb hart: „Nein, es tut mir
leid, ich möchte nicht wiederkommen, bis jemand mit der richtigen Kutsche anreist oder das
passende Kleid anhat. Ich hätte gerne heute noch die Bestätigung, dass der deutsche Zoll
nichts gegen Rose Ausländer hat. Ich meine gegen die Einfuhr ihrer Büste.“ Der
Einfuhrspediteur seufzte. Er korrigierte die Nummer. Schickte mich mit einem Ausdruck des
Bedauerns zurück zur Gottesanbeterin. Vermutlich rechnete er nicht damit, dass ich
überlebte. Aber ich wusste inzwischen, dass der Zollbeamte größeren Gefallen daran hatte,
die Folterwerkzeuge zu zeigen als seiner Beute den Garaus zu machen. Tatsächlich reagierte
er lakonisch: „Da müssen Sie nochmal zurück!“ „Wieso?“ „Das muss ich Ihnen nicht sagen.“
„Vielleicht dürfen Sie es aber?“ Erst hier tauschte er die Fangbeine wieder gegen eine
Löwenmähne. Der Löwe brüllte: „Ich bin nicht dafür da, Ihnen irgendetwas zu erklären!“ Aus
der Sicht des Löwen stimmte das. Die Machtfrage war längst geklärt. Es gab keinen Grund,
sie mir nochmal auseinanderzusetzen. Ich sah die Sache mittlerweile in einem anderen Licht.
Wohin fuhr die Gottesanbeterin mit ihrem blauen Kombi, wenn sie den Frachtflughafen
verließ? Hatte sie ein Zuhause, in dem die Machtfrage genauso ein für allemal geklärt war,
nur andersherum? Wurde der Löwe vor dem Sofa zum Mäuschen? Und konnten die Zangen,
die jetzt nervös zuckten, am Ende gar nicht zupacken? Ich beäugte das Mischwesen
intensiver. Es verfärbte sich. Ich sagte ihm, ich ginge ein letztes Mal zum Einfuhrspediteur,
danach nicht mehr. Was dann geschehen würde, ließ ich offen. So ähnlich muss es früher zu
Duellen gekommen sein. Der Scharfschütze provoziert, bis ein Gernegroß anbeißt und im
Morgengrauen ins Gras beißt. Würde es zwischen uns so weit kommen? Hatte ich eine
Chance? Ich wusste es nicht. Der Einfuhrspediteur schüttelte den Kopf, als ich ihn endlich
wieder fand. „Jetzt hat er uns auf dem Kieker.“ „Wieso uns? Mich!“ „Ja, aber der macht da
keinen Unterschied. Alle, die mit ihm zu tun haben, werden abgekanzelt. Wir auch.“
Wer hielt den Faden dieses Labyrinths in der Hand? War die digitale Einfuhrkontrolle wirklich
nur das Mittel, das es dem Zollbeamten erlaubte, ins Kostüm des Tiers, das in ihm steckte, zu
schlüpfen? Immerhin war es dem Einfuhrspediteur gelungen, mit der Gottesanbeterin zu
telefonieren. Es hörte sich an, als könne eine weitere Unstimmigkeit ausgeräumt werden. Ich
glaubte an eine Täuschung. Auch noch, als der Einfuhrspediteur mich wieder zurückschickte.
Ein letztes Mal in die Fänge der Gottesanbeterin. Diesmal war ich die einzige Fliege im
Abfertigungsbereich. Die Gottesanbeterin hatte sich wieder an ihren Tisch zurückgezogen.
Saß genauso da, wie sie anfangs gesessen hatte. Die junge Zollbeamtin trat vor. Sie tat, als
ob nichts gewesen sei: „Na, haben Sie alles bekommen?“ „Tja, wenn man das so genau
wüsste“, erwiderte ich zaghaft. „Das sieht aber gut aus diesmal“, versuchte sie zu
beschwichtigen. Dann sprach sie die Gottesanbeterin direkt an: „Kann das sein mit der
Umsatzsteuer? Das kommt mir viel vor.“ Auf den Kaufpreis der Büste hätten 19%
Umsatzsteuer gezahlt werden sollen. Die Gottesanbeterin riss ihren Kopf herum. Ihre Fänge
zuckten nervös: „Das ist doch wieder falsch. Da gehören 7% drauf, weil das ermäßigt ist.“ Ich
rechnete mit dem Schlimmsten. Rücktransport der Büste nach Czernowitz und Neu-
Ausstellung einer Rechnung. Zum Beispiel. Es kam aber anders. Die Gottesanbeterin
korrigierte den Antrag. Tat, was sie vorher nicht tun konnte. Zur jungen Zollbeamtin zischte
sie, dass das teuer geworden wäre. Die nahm den Ball auf und sagte mit einem Lächeln:
„Sehen Sie, es ist doch gut, dass wir das noch einmal überprüft haben. Jetzt haben Sie noch
Geld gespart.“
Ich musste wieder an Asilah denken. Dort hatte die Arbeitsteilung gut funktioniert. Der junge
Bursche war Zuträger, köderte die Touristen. Sein Onkel machte das Geschäft. Worin
bestand der Trick auf der Gottesanbeterinnen-Wiese? Die junge Zollbeamtin entwaffnete die
Ankömmlinge. Waren sie schutzlos und entblößt, fraß die Gottesanbeterin sie auf. Ich zahlte,
315,17 Euro. Ohne weiteres Nachfragen. Nahm die gestempelten Papiere an mich. Zum
Abschied sagte ich zur jungen Zollbeamtin: „Behalten Sie bitte Ihr Lächeln. Das ist bestimmt
nicht einfach. In dieser Umgebung.“ „Wie meinen Sie das?“ „Das Gebäude hätte einen neuen
Anstrich nötig.“ Sie lächelte erleichtert: „Da sagen Sie was. Das stimmt, es ist manchmal
bedrückend, wenn man in so ein Gebäude muss.“ „Das glaube ich Ihnen. Ich drücke Ihnen die
Daumen. Es wäre unheimlich schade, wenn Sie Ihr Lachen verlieren würden.“ Viel lieber hätte
ich ihr die letzten beiden Zeilen des Gedichts von Rose Ausländer vorgetragen. Vielleicht tut
es jemand bald, im Nordpark?

Sei was du bist
Gib was du hast.

Und die Büste? Der Ausgabeschalter war geschlossen. Ich musste Rose Ausländer im Bauch
des Reptils zurücklassen. Noch eine volle Woche lang. Dann erst konnte ich sie abholen. Es
war kein blauer Kombi auf dem Parkplatz zu sehen. Ein gutes Zeichen. Ich ließ das Linoleum-
Labyrinth rechts liegen. Ging mit dem gestempelten, DINA-Saurier-Frachtpapier direkt zum
Ausgabeschalter. Von dort hatte man mich vor einer Woche in den Kerker geschickt. Der
blieb mir dieses Mal erspart. Obwohl nicht alles stimmte. Die Gottesanbeterin hatte das
falsche Kästchen angekreuzt. Oder war es die junge Zollbeamtin gewesen? Ich konnte mich
nicht erinnern, wer von den beiden das Papier unterschrieben hatte. Die Unterschrift war
unleserlich. Dem Ausgabespediteur war es egal. Hauptsache, das Papier wies den Stempel
auf. Dem Zoll war nichts entrissen worden, das genügte. Er präsentierte mir seine Rechnung
fürs Einlagern, 81,04 Euro. Etwa die Hälfte war ein Zuschlag fürs späte Abholen. Nur kurz
überlegte ich. Gerne hätte ich das Geld aus der Kasse der Zollabfertigung genommen, ließ
den Gedanken aber schnell wieder fallen. Der Ausgabespediteur gab mir einen Wink.
Schickte mich zur Rampe. Kurz darauf kam ein Gabelstapler aus dem Lager. Er war beladen
mit einer Holzkiste in der Größe eines Kindersarges. Der Fahrer stellte die Kiste auf das
Rollbrett, das ich mitgebracht hatte. Er überließ mir die Holzkiste, nachdem ich ihm das
Frachtpapier ausgehändigt und er die Nummern verglichen hatte. Die Nummern stimmten,
wir durften den Frachtbereich verlassen. Ich schob die Kiste aus dem Gelände hinaus ins
Freie. War stolz. Rose Ausländer wurde erwartet. Gerhart Hauptmann war sicher
ungeduldig. Er würde sich nicht mehr lang gedulden müssen. Wir nahmen die S-Bahn, fuhren
zum Hauptbahnhof. Eine Prozession. Heimlich, aber lautstark. Das lag an den Rollen unter
dem Brett. Sie lärmten. Besonders, als es über das Pflaster des Bahnhofsvorplatzes ging.
Welch ein Kontrast zur Stille des Linoleums! Ich genoss den Lärm und das Treiben der
Menschen. Sie wurden zu Zeugen einer posthumen Dichterbegegnung, ohne es zu merken.
Aber was hieß das schon? Sie hatten Anteil daran, waren ein Teil davon. Darauf kam es an.
Wer weiß? Vielleicht fuhr ein Keltenfürst genau hier einmal rasselnd vorbei. An wem? Wie
hieß er? Wir wissen es nicht. Nur ein rekonstruierter Wagen steht in einem Museum am
Rhein, mit Schellen an den Achsen.
Rose Ausländer war keine Keltenfürstin. Sie kam auch nicht als Dichterfürstin nach
Düsseldorf, damals, 1965. Sie hatte zwei Koffer dabei. Einen aus Stoff.
So konnte sie jederzeit alles Notwendige einpacken, falls eine neue Flucht anstand. Der zweite war in ihrem Kopf. Er
bestand aus Bildern. Die packte sie in den folgenden beiden Jahrzehnten aus. Vorsichtig, Bild
für Bild. Sie würde die Bilder nach und nach in Sprache verwandeln. Jetzt war ihre Büste
angekommen, 56 Jahre später. Eingepackt in eine rollende Kiste. Jemand würde die Büste
auspacken. Ein anderer würde sie im Nordpark aufstellen. Aber das Kind, das mitreiste, was
geschah mit ihm? Ich hoffte, ich hätte es wachgerüttelt. Würde es im Gerhart-Hauptmann-
Haus aus der Kiste steigen und dem Alten in die Haare greifen?
Der Hausmeister wunderte sich, als ich die Kiste lächelnd die kleine Rampe hinauf und ins
Haus hineinschob. Wir rollten sie vorsichtig in einen Nachbarraum, provisorisch.

Adieu, Rose,
und Auf Wiedersehen.





Vi ahin zol ikh geyn? Herbert Rubinstein im Interview

Wenn es einen spiritus rector der Städtepartnerschaft zwischen Düsseldorf und Czernowitz gäbe, er
hieße Herbert Rubinstein. Der gebürtige Czernowitzer überlebte den Völkermord im Zweiten
Weltkrieg in der damals rumänischen, heute ukrainischen Nord-Bukowina, ließ sich 1956 in
Düsseldorf nieder, und engagiert sich seitdem – fest auf dem Boden der jüdischen Überlieferung
stehend – für den Dialog über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg. Aus Anlass seiner im
vergangenen Jahr erschienenen Hörbuch-Biographie 'Meine vier Leben' konnten wir am 13. Juni
2023 ein Interview mit Herbert Rubinstein führen. Sein Lebensmotto 'Das Gute wird siegen – wenn
wir etwas dafür tun' spiegelt einen tätigen Humanismus wider, der uns aus dem Werk Rose
Ausländers – in lyrischer Gestalt – nicht unvertraut ist.
Rose-Ausländer-Gesellschaft (RAG): Sie, lieber Herr Rubinstein, wurden 1936 in Czernowitz geboren
und sind Autor des im Oktober 2022 erschienenen Hörbuchs 'Meine vier Leben'.
Herbert Rubinstein: Autor bin ich nicht, sondern ich bin, wenn Sie so möchten, der Protagonist. Der
Ideenverwirklicher ist Jan Rohlfing, Musiker, Komponist und ein vielseitiger, guter Freund.
RAG: Dieses Hörbuch ist eine Art Gemeinschaftswerk?
Herbert Rubinstein: Richtig. Durch das, was Jan Rohlfing gemacht hat, habe ich mich in meine
Vergangenheit wieder eingefunden. Es sind ja über 6 Stunden insgesamt an Gesprächen gewesen.
Das heißt, eine Nachbearbeitung der Texte war wichtig.
RAG: Sie beschäftigen sich seit 2 Jahren mit diesem Hörbuch. Daran kann man, glaube ich, sehen,
dass es eine gewisse Zeit gebraucht hat, um das umzusetzen.
Herbert Rubinstein: Es ist so, dass im Anfang die Idee eines Hörbuches nicht an mich herangetragen
wurde. Vielleicht, dass der Name Herbert Rubinstein und die Verbindung Czernowitz - bevor
überhaupt der Krieg in der Ukraine losgegangen ist - mit ein Auslöser gewesen ist. Aber was
wahrscheinlich wichtig ist, war, dass der Herbert Rubinstein Jude ist, dass er bereit ist zu sprechen
als Zeitzeuge, dass er in Schulen geht und mit vielen jungen Menschen Kontakt hat. Und wenn man
das mit Musik unterlegen kann, ist die problematische Vergangenheit, die Gewalt, das alles, was ich
ja zu berichten habe, nicht so drückend. Und dann habe ich gesagt: 'Ich möchte ein musikalisches
Thema haben'. 'Meine vier Leben' bedeutet ja einen Weg. Im Jiddischen gibt es ein Lied, das heißt 'vi
ahin zol ikh geyn'. Das heißt in Deutsch 'Und wohin soll ich gehen?'. Wenn man überlebt hat, wo
führt der Weg hin? Ich habe mir gesagt, dieses Lied passt gut dazu. Dann haben wir den Kantor der
jüdischen Gemeinde Düsseldorf, den Herrn Aaron Malinsky, mit dem Projekt konfrontiert und ihm
erzählt, was wir machen und ob er bereit wäre, das auch zu singen.
RAG: Sie haben Jan Rohlfing als maßgeblichen Initiator beschrieben, sie sind so weit gegangen zu
sagen, sie sind gar nicht Autor, sie sind der Protagonist. Sie sprechen über Ihr Leben nicht als
jemand, der ein Atom im Universum ist, sondern sie lassen den Zuhörer daran Anteil nehmen, dass
Sie in einer Gemeinschaft sind.
Herbert Rubinstein: Die Gemeinschaft ist für mich ein Mittelpunkt im Leben. Isoliert sind wir als
jüdische Menschen sowieso geworden. Die Gemeinschaft ist für uns als jüdische Menschen faktisch
eine Insel. Und wenn wir jetzt das Hörbuch nehmen, dann habe ich mir gesagt, ich müsste aus dieser
Gemeinschaft ein bisschen hinaus. Die Gesellschaft insgesamt gesehen, außerhalb von dem
jüdischen Bereich, ist doch die überwiegende Mehrheit. Das heißt: Wieso weiten wir nicht unsere

Gemeinschaft auf die Interessierten aus, die dann unsere geistigen Freunde werden? Die mit uns
praktisch versuchen gegen das Böse zu kämpfen, wobei ich nicht sage, dass im Judentum alles gut
ist. Aber das Judentum hat für mein Gefühl das Gute als Kern im Mittelpunkt.
RAG: Wie man zu solchen Gedanken kommt, könnte sich der eine oder andere fragen, der nicht vier
Leben hatte, sondern im ersten Leben steht und das in der heutigen Zeit, im 21. Jahrhundert. Sie
blicken, lieber Herr Rubinstein, ja auch noch zurück, vielleicht nicht nur ins 20. Jahrhundert, sondern
ein bisschen noch ins 19. Jahrhundert?
Herbert Rubinstein: Richtig.
RAG: 1936 - im Winter, sagen Sie - , sind Sie geboren. Dann waren Sie 10 Jahre im ersten Leben
begriffen, in Czernowitz. War das die bewegteste Zeit?
Herbert Rubinstein: Die ersten 10 Jahre war Czernowitz natürlich der Mittelpunkt. Aber die
Fluchtbewegungen, die uns in unterschiedliche Städte haben kommen lassen, haben bewirkt, dass
Czernowitz für mich nicht ein Ort der Ruhe und des Entwickelns war, sondern sehr ambivalent.
RAG: Sie beschreiben, dass Sie sich an den Großvater mütterlicherseits erinnern, der Bierbrauer war.
Herbert Rubinstein: Ja.
RAG: Der schwere Pferde hatte vor seinem Bierwagen. Da gibt es ein Detail, dass Sie freitags abends
immer ein bisschen Bier zu trinken bekommen haben.
Herbert Rubinstein: Ja. Die schöne Erinnerung war, dass wir, obwohl wir nicht streng religiös waren,
dafür gesorgt haben, dass die Familie am Freitagabend zusammengekommen ist. Und dann wurde
natürlich gegessen. Und wenn es noch ruhige Zeiten waren, viel gelacht. Dann hat Opa Wolf, Leon
Wolf, seligen Angedenkens, immer so ein ganz kleines Fläschchen mit ein paar Schluck Bier in seiner
Hintertasche gehabt. Und ich durfte dann immer ein bisschen dran nuckeln.
RAG: Im Hörbuch sagen Sie, dass Sie mit 12 bis 15 Personen im Wohnzimmer saßen und leckere
Dinge gegessen haben: Huhn, gefillte Fisch,
Herbert Rubinstein: Ja, und die Challot. Also die Mohn-Zöpfe und Sesam-Zöpfe. Freitagabend im
Judentum ist ja der Vorabend vom Schabbat. Es war nicht nur ein Zusammenkommen, dass man sich
sieht, wenn man die ganze Woche nicht die Möglichkeit gehabt hat. Es gab auch viele jüdische arme
Menschen. An diesem Abend war eine Mizwa, also ein Gebot, dass man ärmere Menschen, ob es
Nachbarn waren oder unter Umständen auch Familienmitglieder, gebeten hat, dass sie zu uns
stoßen und mit uns zusammen essen.
RAG: Und das Essen wurde gekocht von Ihrer Mutter?
Herbert Rubinstein: Überwiegend, zu Hause, da war es die Großmutter, solange sie noch konnte;
und dann auch natürlich meine Mutter.
RAG: Dann gibt es noch ein Detail: Dass sie auch heute Ihre Mutter vor sich sehen, wenn Sie die
Lieblingskipferl bekommen, die inzwischen Ihre Tochter für Sie macht?
Herbert Rubinstein: Richtig. Die Mutter ist Gott sei Dank schmerzfrei und in einem hohen Alter – sie
war fast 93 Jahre - in unserem Nelly Sachs Haus verstorben, wo auch Rose Ausländer verstorben
war. Mutter war bis zuletzt eine lebensbejahende Person - und immer mit ausgestreckten Händen
bereit Menschen zu helfen. Und sie war eine wunderbare Köchin. Ich hab Glück gehabt, dass ich

diese beste Mutter der Welt bekommen habe. Und die Kipferl unserer Tochter - sie wohnt ja in
Berlin und kommt öfters mal zu uns. Dann ist es ein Highlight, die genießen zu dürfen.
RAG: Nun haben Sie über Ihre Mutter gesprochen, über ihren Vater weniger, was damit zu tun
haben kann, dass er im Krieg geblieben ist.
Herbert Rubinstein: Ich habe meinen Vater kaum gekannt. Er war ein guter Mensch, ein
Rechtsanwalt, ein Intellektueller. Aber ich habe wenig Eindrücke. 1940, als die Russen gekommen
sind, war ich 4 Jahre alt - die Erinnerung ist weg. Es ist nur vorhanden, dass er uns zugewunken hat,
als er in die russische Armee eingezogen wurde - was für uns ein furchtbares Erlebnis war. Der Vater
war auf einmal nicht mehr da. Und die ganze Zeit dann, bis an sein Lebensende, habe ich ihn nicht
mehr gesehen und auch nicht mehr gehört.
RAG: Sie waren ein Einzelkind. Ich unterstelle ein Wunschkind
Herbert Rubinstein: Ja.
RAG: Es war ja so, dass Ihr Vater Arzt werden wollte und das in Wien hätte machen müssen, weil es
in Czernowitz zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ging.
Herbert Rubinstein: Sie hatten auch keine Fakultät in Czernowitz, keine medizinische Fakultät. Heute
ist sie ja vorhanden.
RAG: Ja, das war damals unter rumänischer Verwaltung. Die Rumänen hatten zu diesem Zeitpunkt
vieles rückgängig gemacht von dem, was vor dem Ersten Weltkrieg unter der kuk-Monarchie noch
möglich war.
Herbert Rubinstein: Richtig. Wenn wir zurückgehen nach 1918 ist ja praktisch jetzt die Bukowina
und Czernowitz rumänisch geworden. Man leiblicher Vater hat in Czernowitz studieren können, weil
er dort zur Schule gegangen ist. Er ist noch in der kuk-Monarchie geboren. 1914 kam der Erste
Weltkrieg, ging bis 1918. In der Zeit ist er in eine österreichisch-ungarische Schule gegangen, da war
Deutsch die Muttersprache. Natürlich haben dann die Rumänen diskriminiert - aber ob das ein
Grund gewesen ist, dass in Czernowitz keine medizinische Fakultät war, kann ich nicht bejahen oder
verneinen.
RAG: Jedenfalls hat es Ihr Vater in Wien nicht ausgehalten, weil er zu verliebt war in Ihre Mutter.
Herbert Rubinstein: So isses.
RAG: Und das war zu Ihrem Vorteil, weil Sie das Licht der Welt erblickt haben.
Herbert Rubinstein: So isses.
RAG: Aber wir haben es auch mit den Zeitläuften zu tun. Das Rad der Geschichte dreht sich weiter.
Nach den Rumänen – Sie haben es schon gesagt – kamen die Russen. Ihr Vater wurde von der
russischen Armee eingezogen, weil es im sogenannten Russenjahr - 1940 - aufgrund des Hitler-
Stalin-Paktes dazu kam, dass kurzzeitig die Bukowina und Czernowitz von Russen besetzt war.
Herbert Rubinstein: Ja.
RAG: Kurzzeitig, weil danach der Überfall der Wehrmacht auf Russland kam, was dazu führte, dass
erneut die Rumänen in Czernowitz die Macht übernahmen, dann aber mit wesentlich
drakonischeren Maßnahmen vorgingen.

Herbert Rubinstein: Richtig. Das Ghetto, das eingerichtet wurde in Czernowitz, war praktisch das Tor
für Transnistrien. Mengenmäßig vorgeschrieben, nach deutscher Präzision, mussten so und so viele
Menschen täglich die Züge besteigen, die Viehwaggons. Die sind nach Transnistrien abtransportiert
worden. Wobei bevor dieses Ganze erfolgte, auch in Czernowitz selber Erschießungen, Ermordungen
erfolgten. Der Pruth ist der Fluss, der durch Czernowitz fließt. Und dort haben sie ermordete
Menschen in den Fluss geschmissen. Da sind viele Menschen umgekommen.
RAG: (Pause) Da stockt einem die Sprache. In Transnistrien kam es unter Kontrolle der rumänischen
Streitkräfte zu einer sogenannten 'einseitigen Deportation'. Dem Regime von Antonescu in
Rumänien ging es darum, die Juden aus dem, was Rumänien als Land beanspruchte, zu entfernen. Es
ging nicht zwangsläufig oder industriell um die Vernichtung, so wie in den Gebieten, die den
deutschen Truppen unterstanden. Aber die Mittel, die angewandt wurden, führten in der Mehrzahl
der Fälle dazu, dass die Menschen verhungerten, erfroren, erschlagen wurden und nicht mehr
zurückkamen.
Herbert Rubinstein: So isses.
RAG: Es war ein chaotischer Völkermord, der in Transnistrien stattfand.
Herbert Rubinstein: Ja. Ich selber habe das Glück gehabt, dass ich nicht nach Transnistrien
gekommen bin, beziehungsweise meine Mutter, mein Großvater und ich. Aber mein Cousin hat
Transnistrien überlebt und erzählte eine ganze Menge von den Gräueltaten.
RAG: Die Gräuel sind lyrisch berühmt geworden in der Zeile 'Der Tod ist ein Meister aus
Deutschland'.
Herbert Rubinstein: Ja.
RAG: Das ist die Brücke zu Celan, der ja auch aus Czernowitz stammt. Seine Mutter und sein Vater
haben die Deportation nicht überlebt. Aber zurück zu Ihnen, Herr Rubinstein. Sie haben von den
Viehwaggons gesprochen, die in Czernowitz bereitstanden, für die Deportation in diese Gebiete.
Herbert Rubinstein: Ja.
RAG: Das Ghetto in Czernowitz wurde eingerichtet zu diesem Zweck. Es gab die sogenannten
Popovic-Ausweise und die Calotescu-Autorisationen, die man bekommen konnte mit
Verhandlungsgeschick oder mit besonderen Argumentationen: Diejenigen, die in Krankenhäusern
gearbeitet haben, die auf bestimmte Art und Weise unabkömmlich waren, konnten sich solche
Ausweise beschaffen. Das ist unter anderem der Familie von Rose Ausländer gelungen. Ihre Mutter,
Herr Rubinstein, Ihr Großvater und sie hatten polnische Ausweise.
Herbert Rubinstein: Meine Mutter hatte gesagt, wir hätten polnische Ausweise. Aber ich habe sie
nie gesehen. Von rumänischen Papieren wusste ich nichts. Als wir dann geflüchtet sind - wir sind ja
aus Czernowitz weg, weil die Mutter verhaftet wurde – müssen wir Papiere gehabt haben.
Wahrscheinlich sind wir mit diesen Papieren durchgekommen, denn wenn wir unsere eigenen
Namen gehabt hätten als Juden, hätte man uns sofort erschossen.
RAG: Es war ein Vernichtungskrieg, gegen Minderheiten und gegen die jüdische Minderheit zumal.
Die Einzelheiten und auch glücklichen Fügungen kann man dem Hörbuch entnehmen. Man kann es
aber nicht übergehen, meine ich, weil es so dramatisch und ungeheuerlich ist: Sie waren schon im
Viehwaggon, kamen wieder heraus
Herbert Rubinstein: Richtig.

RAG: Wir nähern uns dem, was Sie Ihr zweites Leben nennen. Eines können wir dabei nicht
überspringen - die Begegnung mit Ihrem Stiefvater.
Herbert Rubinstein: So isses. Aber Stiefvater nenne ich ihn nicht. Er ist mein zweiter Vater. Der Max
Rubin seligen Angedenkens hat mich als Zehnjähriger mit meiner Mutter und meinem Großvater in
die Freiheit aufgenommen. Er war am 27. Januar 1945 in Auschwitz befreit worden. Er war
Düsseldorfer, allerdings hatte er mit Deutschland abgeschlossen. Er ist in Holland, in Amsterdam,
verraten worden und dann über mehrere Lager nach Auschwitz gelangt und hat Auschwitz
wundersamerweise überlebt. Ich habe ihn gefragt, möchtest Du erzählen? Er war so davon
traumatisiert – es war sehr schwierig, etwas zu erfahren. Was ich erfahren habe, war, dass der Sport
eine wichtige Sache war.
RAG: Er war, glaube ich, Deutscher Meister auf Harley Davidson?
Herbert Rubinstein: Ja, er war 1920 als Zwanzigjähriger deutscher Meister auf Harley Davidson 1000
Kubik. Und er war mit den großen Autohändlern befreundet hier in Düsseldorf, das waren ganz
überwiegend nicht jüdische Menschen. Der gottselige Max Rubin hat eine breite Ebene mit
nichtjüdischen Leuten gehabt: Mit 13 Jahren werden wir jüdische Jungs Bar Mizwa, das heißt Söhne
der Gebote. Mit 13 Jahren ist man ein jüdischer Mann und darf an den Gebeten teilnehmen. Man
muss sich ungefähr anderthalb Jahre auf das Ganze vorbereiten. Dann gibt es eine Art Prüfung. Max
Rubin seligen Angedenkens ging also als Zwölfjähriger in die große Synagoge in der Kasernenstraße,
um zu üben.
RAG: In Düsseldorf?
Herbert Rubinstein: In Düsseldorf. Das Problem war, dass bei den Morgengebeten wochentags sehr
wenige Männer vorhanden waren. Also Max Rubin kam zu dem vereinbarten Termin und es waren
keine 10 Männer da. Aber Max hatte zu seinen Freunden gesagt, ich gehe dort und dort hin, und
dann haben die gesagt, interessiert uns mal. Also sind 3 oder 4 von ihnen mitgegangen. Und man
wartete, es wurden keine 10 Männer, aber es waren insgesamt mit diesen Jungs 11. So, und dann
hat der Rabbiner gesagt: Warum sollen wir Dich bestrafen dafür, dass die anderen nicht kommen?
Wir zählen Deine nichtjüdischen Freunde mit, und so konnte man das Gebet verrichten.
RAG: Verstehe.
Herbert Rubinstein: Das war der Rabbiner Max Eschelbacher seligen Angedenkens.
RAG: Und diese mitgezählten Freunde, gab es zu denen dann später Kontakt?
Herbert Rubinstein: Ja, als sie gehört haben, dass Max Rubin überlebt hatte, kamen sie nach
Amsterdam. Und das war, ja, es war für uns, Deutsche zu sehen, die den Krieg überlebt hatten, die
unter Umständen auch Schuld auf sich geladen hatten, erstmal ein Zwiespalt: Müssen wir uns mit
Deutschen unterhalten in Deutsch? Da war in meiner Brust ein großer Zwiespalt: Wirst du die
deutsche Sprache sprechen oder schaffst du die ab? Ich musste sie in der Schule lernen, denn wo ich
auf der weiterführenden Schule war, war Deutsch - auch in Holland damals - Pflichtsprache. Ich habe
meinen Eltern gesagt, ich spreche mit Euch holländisch. Die deutsche Sprache, das ist 'de moffen
taal'. Aber dann habe ich mir angefangen zu sagen, wieso eigentlich? Die Sprache deiner Großeltern
war Deutsch. Die Sprache deiner Eltern ist Deutsch, auch wenn das ja ein österreichisches Deutsch
ist. Die deutsche Kultur und die jüdische Kultur haben sich ergänzt. Und wenn wir überhaupt in
dieses ganze große Spektrum hineingehen, war die deutsche Sprache eine wunderbare Grundlage
für was weiß ich wieviel Gutes. Und dann habe ich mir gesagt, okay, dann ist die deutsche Sprache
genauso wichtig wie Französisch, Englisch, Spanisch, italienisch. Die deutsche Sprache ist für mich

erstmal eine Brücke, um mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, wie mit den anderen
Sprachen. Und nach und nach habe ich empfunden, dass ich an sich, was die deutsche Sprache
betrifft - sie ist unlösbar mit mir verbunden.
RAG: Sie haben außer Holländisch auch Französisch und Rumänisch gesprochen, in der Familie?
Herbert Rubinstein: In der Familie haben wir nicht rumänisch gesprochen. Wir haben überwiegend
Deutsch gesprochen, das heißt, in Czernowitz habe ich rumänisch gelernt. Da habe ich auch Russisch
gelernt. Aber wir haben zu Hause Deutsch gesprochen. Und natürlich auch Jiddisch.
RAG: Das Jiddische kam von ihrer Mutter, ihrem Großvater oder ihrem Ziehvater?
Herbert Rubinstein: Von meinem Großvater mütterlicherseits. Und auch von der Seite von meinem
leiblichen Vater Max Rubinstein seligen Angedenkens. Die Eltern stammten aus Lodz.
RAG: Sie sagen zu Ihrer Amsterdamer Zeit, dass das Jüdische noch dazu kam, in Form einer
Tanzschule,
Herbert Rubinstein: Ja.
RAG: Und dann geben sie einen Hinweis auf die jüdische Kippa. Sie sagen, das sei eine Metapher:
Wir sind endlich als Menschen und brauchen etwas, um uns abzugrenzen gegen den Himmel, damit
wir nicht hochmütig werden gegenüber dem Schöpfer.
Herbert Rubinstein: So isses.
RAG: Das ist sehr einfach gesagt, und überzeugend.
Herbert Rubinstein: Wenn wir in die Geschichte hineingehen: Warum haben wir Kopfbedeckungen?
Weil wir aus einem Gebiet stammen, wo die Sonne schon vor Jahrhunderten schlimm war - man
musste sich gegen die Sonne schützen. Und dann wurden wir diskriminiert. Wir Juden wurden von
der Kirche gezwungen, Kopfbedeckungen zu haben, bestimmte Judenhüte. Irgendwann haben wir
gesagt, das, was sie uns aufgezwungen haben, wird zu unserem Symbol. Das zweite ist die
sogenannte Abgrenzung, damit man weiß: Über uns ist etwas, was wir fühlen können, aber nicht
sehen. Wir können es nur empfinden.
RAG: So dass man ein Stigma umgewandelt hat in einen positiven Wert?
Herbert Rubinstein: Richtig.
RAG: Das ist ja, wenn man so möchte, eine Art Überlebensstrategie.
Herbert Rubinstein: Wenn ich die Kippa heutzutage betrachte, ist sie in Israel noch wesentlich
ausgeweitet worden. Man hat gehäkelte Kippot, man hat welche aus Samt, aus Leder. Diese
Kopfbedeckung hat unter Umständen auch eine Aussagekraft, welche politische Richtung, welche
religiöse Richtung, welche soziale Richtung man hat. Also man kann mit diesem Teil auch viel
erfahren über eine Person.
RAG: Meine Denkrichtung ging an Ihre Anfänge: Sie haben im Hörbuch gesagt, dass Sie säkular
aufgewachsen seien. Sie haben vorhin präzisiert: Ihre Familie stand in einer festen konfessionellen
Tradition. Trotzdem möchte ich fragen, ob die jüdische Religion für Sie in Ihrer Amsterdamer Zeit
noch einmal eine andere Bedeutung bekommen hat?
Herbert Rubinstein: Sie hat die Bedeutung bekommen, zu einem bestimmten Teil der Menschheit zu
gehören. Ich bin mit 10 Jahren nach Amsterdam gekommen. Und ich habe dann mit dem religiösen

Judentum intensiver Kontakt bekommen. Das heißt, ich habe angefangen mich sowohl mit dem
Hebräischen wie mit den Übersetzungen, wie mit der Geschichte zu befassen. Judentum ist ja nicht
nur Religion, das ist ein way of life. Dann habe ich festgestellt: Dadurch habe ich mit vielen
Menschen Gesprächsthemen, Verbindungen. Und dann knüpfe ich an das, was man versucht hat zu
vernichten. Ich bin, wenn man so will, ein Träger der Geschichte, die vor ungefähr 5783 Jahren
angefangen hat. Als die sogenannten Überlebenden waren wir auch in Holland bei der Bevölkerung
etwas Besonderes. Nicht, dass wir irgendwie höhergestellt waren - aber wir waren akzeptiert, nicht
diskriminiert. Das hat das Elend, das in einem noch vorhanden war, minimiert. Und dann kam
natürlich das Judentum von den Menschen dazu, die überlebt hatten. Es knüpfte an das Schöne an,
das ich noch in Czernowitz in Erinnerung gehabt habe, aber auf eine andere Art und Weise.
RAG: Wenn Sie das so beschreiben, kann man kaum glauben, dass sie lediglich 10 Jahre in
Amsterdam zugebracht haben.
Herbert Rubinstein: Ja, aber so isses.
RAG: Und dann weitergezogen sind. Ausgerechnet nach Düsseldorf.
Herbert Rubinstein: Ausgerechnet nach Deutschland. Ich habe immer gesagt, Deutschland kommt
für mich nicht in Frage. Und trotzdem habe ich irgendwann entschieden: Ich versuche es, weil der
Max Rubin, seligen Angedenkens, oft gesagt hat 'nie wieder Deutschland' und trotzdem den Weg
gegangen ist. Und dann hab ich mir gesagt, wenn Max Rubin, der so ein schlimmes Schicksal gehabt
hat, mit Auschwitz und dem Ganzen, was er gesehen hat – was ich mitgemacht habe, war ein
Bruchteil von dem, was er mitgemacht hat. So dass ich mir gesagt habe, ich versuche es auch mal.
Der Weg nach Deutschland war, wenn man so will, mit angezogener Handbremse. Und dann hat die
deutsche Sprache, die meine Muttersprache ist, bleibt und sein wird, bis ich die Augen schließe, die
Brücke geschaffen zu den Jugendlichen, die mir in einer katholischen Jugend teilweise zu Freunden
geworden sind. Ich habe mir gesagt, kannst mit denen ja mal reden. Da hab ich festgestellt, der
Unterschied ist, dass sie keine Juden sind, und ich bin kein Christ. Und dann kamen die Gespräche:
'Fragt Ihr zu Hause?' – 'Ja, wir kriegen aber keine Antworten'. Bei den Juden haben wir auch keine
Antworten bekommen. Da hab ich mir gesagt, wenn wir da sind und miteinander sprechen, hören
wir das ein oder andere. Das heißt, es war eine Zeit der Entwicklung in vielen Bereichen.
RAG: Wir sind mitten in Ihrem dritten Leben, das Sie in Düsseldorf gestartet haben.
Herbert Rubinstein: Ja, 1956 im Dezember.
RAG: Und dann gab es ein Ereignis in den Rheinterrassen. Da gab es eine Chanukka. Ihre Mutter
sagte zu Ihnen, da drüben sei so ein nettes Mädchen. Und das gibt es heute noch.
Herbert Rubinstein: Gott sei Dank, sie ist nach wie vor die beste der Welt. Wir sind 59 Jahre
verheiratet und es kommt mir vor wie gestern.
RAG: Das ist doch eines der schönsten Komplimente, die man seinem Lebenspartner machen kann.
Herbert Rubinstein: Ich hab' in meinem Leben viel Glück gehabt. Wir sind, wenn man so will, ein
Körper. Und auch wenn wir diskutieren und unter Umständen unterschiedlicher Meinungen sind,
das bringt uns nicht auseinander. Im Gegenteil.
RAG: Und dann haben Sie in Düsseldorf eine eigene Familie gegründet?
Herbert Rubinstein: Ich würde sagen, in Köln. Standesamtlich haben wir in Düsseldorf geheiratet.
Aber die Chuppa, die jüdische Hochzeit, war in der Großen Synagoge in der Roonstraße in Köln. Der

Papa meiner lieben Frau war Kölner und hatte in Israel schon den zweiten oder dritten Herzinfarkt
bekommen und gesagt, 'ich vertrage das Klima nicht'. Darum haben die in Köln gelebt, meine Frau
und ihre Schwester. Und so haben wir dann auch in Köln geheiratet.
RAG: Ja, das ist Ihr drittes Leben. Sie selber haben gesprochen von Heimat. Und zwar sagen Sie:
Heimat ist dort, wo man vertrauensvoll und zuversichtlich leben kann.
Herbert Rubinstein: Ja.
RAG: Und in diesem Sinne ist mit Sicherheit Ihre Familie eine Heimat. Und Düsseldorf?
Herbert Rubinstein: Ich würde sagen, zuerst ist Düsseldorf die Heimat geworden und dadurch, dass
sie Heimat war, wurde die Familie dann, als wir die Kinder bekommen haben, auch Teil dieser
Heimat. Insgesamt gesehen sind auch die Familien, die jetzt durch die erwachsenen Kinder
entstanden sind, wenn ich es so bezeichnen darf - vielleicht krieg ich Prügel - deutsche Juden. Wir
sind Teil der Alltagsgesellschaft. Ob wir jetzt die Kinder nehmen, unsere Enkelkinder oder
Urenkelkinder - wir sind hier deutsche Europäer. Und vielleicht europäische Deutsche. Aber die
Identität 'Judentum' ist genauso Teil dieser Identität. Diese Wertegesellschaft, wenn wir die
zusammenbringen, könnte viel voneinander lernen. Dann wird nicht das Trennende vorherrschend
sein, sondern das Verbindende.
RAG: Was Sie gerade gesagt haben, ist ja schon die Perspektive hinaus aus dem eigenen Leben und
dem eigenen Umfeld, im Sinne einer Botschaft des Miteinanders, das im Zentrum stehen soll, damit
man Barrieren überwindet.
Herbert Rubinstein: Das Klein-Klein bringt nichts.
RAG: Das ist ja Ihre Aufgabe gewesen, die Sie hatten als Geschäftsführer des Landesverbandes der
jüdischen Gemeinden von Nordrhein.
Herbert Rubinstein: Das war auch meine Sichtweise. Dass ich zum Geschäftsführer berufen wurde,
hat mir die Möglichkeit eröffnet, als Amtsträger wesentlich mehr mit Institutionen in vielen Städten
und Gemeinden in Kontakt zu treten, wo es jüdische Friedhöfe gibt, wo es jüdische Gemeinschaften
oder Gemeinden vor dem Krieg gegeben hat, die es heute nicht mehr gibt. Und auch dieses ganze
Nordrhein-Westfalen hat es ja vor dem Krieg nicht gegeben. Wir hatten das Rheinland, wir hatten
Westfalen, wir hatten dieses Klein-Klein – ich bin froh, dass wir eine wesentliche Vergrößerung
gehabt haben, die mir auch die Möglichkeit geboten hat, mit meinen Kollegen und Kolleginnen in
den anderen beiden Verbänden auch mal über den Tellerrand hinauszuschauen. Durch die jüdischen
Landesverbände bin ich auch mit ganz anderen Leuten in Kontakt gekommen.
RAG: Auch jenseits jüdischer Verbände?
Herbert Rubinstein: Selbstverständlich, aber im Kontext mit der Stelle, die ich hatte. Die haben auf
einmal gesagt: 'Guck mal, da kommt der jüdische Mensch zu uns, das hat vorher keiner gemacht.
Warum macht der Rubinstein das?' Dann habe ich denen gesagt: 'Hört mal zu, wir arbeiten an der
gleichen Zukunft.' Und das haben die verstanden.
RAG: Sie bezeichnen diese Station, die Sie bekleidet haben in den 90er Jahren, als Ihr viertes Leben.
In Abgrenzung zum dritten Leben. Es ist aber der gleiche Ort. Oder ist es ein anderer geistiger Ort?
Herbert Rubinstein: Die Entwicklung war anders, der Ort ist der gleiche. Aber die Zeit war
fortgeschritten. Das heißt, wir haben 1989/90 aus der ehemaligen Sowjetunion eine wesentlich
vergrößerte Menge an Jüdischstämmigen und an jüdischen Menschen in Deutschland bekommen.

Wir waren insgesamt mit abnehmender Zahl so um die 30.000 im westdeutschen Teil von
Deutschland. Als 1989 die Mauer gefallen ist, kam dieser Bereich von Deutschland hinzu, aber mit
sehr wenigen jüdischen Menschen. Dann haben wir uns gesagt, wir müssen versuchen, ein jüdisches
Leben aufzubauen, damit wir eine Zukunft haben. Wir paar Mennekes, irgendwann sind wir weg.
Das hat uns dazu gebracht, dass wir Grundschulen, Kindergärten und Grundschulen - wir haben auch
jetzt das Gymnasium, das Albert Einstein-Gymnasium in Rath – gegründet haben, das heißt eine ganz
neue Entwicklung entstanden ist.
RAG: Was ich mich frage, ist, wie dieses vierte Leben weitergeht. Sie sind nicht mehr
Geschäftsführer des Landesverbandes.
Herbert Rubinstein: Richtig. Nicht mehr Mandatsträger. Bin ehrenamtlich in Institutionen, auch in
den Ausschüssen der Gemeinde, ob es Friedhof ist oder Kultus. Also ich mach noch mit. Das heißt,
wo ich aus dem sogenannten jüdischen Bereich ausgeschieden bin, zum Schluss Landesverband, war
ich trotzdem noch in der Gemeinde aktiv, aber hauptsächlich, würde ich sagen, in dem Gespräch
Christen/Juden in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Und das ist, wenn man so
will, die Fortsetzung des vierten Lebens mit neuen Ideen. Diese neuen Ideen sind an mich
herangetragen worden. Und heute: Da geht es um Czernowitz, um die Städtepartnerschaft, die wir
geschafft haben zwischen Czernowitz und Düsseldorf, gerade in dem Bereich, in der Zeit, wo schon
die Sowjetleute die Ukraine überfallen hatten. Oberbürgermeister Dr. Keller hat dann gesagt: 'So,
und jetzt werden wir die Städtepartnerschaft realisieren'. Die Vorgeschichte war, dass
Oberbürgermeister Thomas Geisel die Städtepartnerschaft im Auge gehabt hatte. Er ist mit uns nach
Czernowitz gefahren. Wir sind, wenn man so will, unterteilt in Juden, Christen, Muslime,
Freidenkende und und und. Aber wir sind Menschen, die in Europa leben, die dieses Europa als zu
Hause haben. Und wir sollten als Europäer versuchen, dass wir diese Familie wieder
zusammenbekommen, in Freiheit, in Demokratie, im Miteinander. Vielleicht die Vision eines
Verrückten. Aber ich sage mir, wir Menschen können, wenn wir wollen, das Gute und das Böse
beeinflussen. Wir müssen nur sehen, dass wir das Gute gewinnen lassen.
RAG: 'Das Gute wird gewinnen'. Herr Rubinstein, das ist das Lebensmotto, das Sie in Ihrem Hörbuch
ausgesprochen haben. Kann die Städtepartnerschaft mit Czernowitz die Krönung von diesem
Lebensmotto sein?
Herbert Rubinstein: Sie ist auf alle Fälle, ohne dass ich an sich jemals geglaubt habe, dass sowas
kommen würde, ein Meilenstein in einer Geschichte, die in etwa 85 Jahre zurückliegt, die uns
Menschen unheimlich viel Elend gebracht hat, die von deutschem Boden in einer Absurdität
entstanden ist, wo man sich fragt als normal Denkender, wie hat das überhaupt stattfinden können,
wie ist das möglich in einer zivilisierten Welt. Und vielleicht ist das gerade - die Städtepartnerschaft
zwischen Czernowitz und Düsseldorf - ein Zeichen, wie international das Rheinland ist. Wie Ideen
entstehen des Miteinanders über die Gewalt hinweg. Wenn sich Menschen mit dem Judentum ohne
Ressentiments befassen, werden sie feststellen, dass es einen Weg aufzeigt, den die Schöpfung der
Welt wollte. Aber es ist noch ein weiter Weg und ob das gelingen wird, weiß ich nicht. Mein Motto
'Das Gute wird gewinnen' ist an sich gekoppelt mit 'wir müssen auch nachhelfen, dass es gewinnen
wird'. Dafür brauchen wir weite Teile der Menschheit, der Erziehung, der Weitsicht vieler Politiker,
der religiösen Glaubensträger und und und.
RAG: Wenn Sie sagen, die Städtepartnerschaft mit Czernowitz ist ein Zeichen dafür, wie
international das Rheinland ist, dann ist das vielleicht auch der Tatsache zu verdanken, dass es eine
Vorarbeit gab. Sie haben den früheren Oberbürgermeister Geisel erwähnt, der für die
Städtepartnerschaft viel getan hat. Sie haben aber auch vorhin die jüdischen Schulen genannt. Es

gibt die Grundschule 'Yitzhak Rabin', und es gibt mittlerweile das Gymnasium 'Albert Einstein'. Sie
haben sich dafür eingesetzt, dass es beides geben konnte.
Herbert Rubinstein: Einfach aus der Überlegung: Wenn wir diese Schulen nicht machen,
verschwindet das Judentum in Deutschland. Das war mit eine der Grundlagen, warum ich mir gesagt
habe, es muss weitergehen, das soll nicht geschehen.
RAG: Nun sind die Auslandsaktivitäten dieser Schulen, ich meine zumindest des Albert-Einstein-
Gymnasiums, auf Czernowitz ausgerichtet gewesen, bevor es die Städtepartnerschaft gab. Also wenn
wir von Weitsicht sprechen, können wir an der jüdischen Gemeinde nicht vorbeigehen.
Herbert Rubinstein: Wir sind ein Mikrokosmos.
RAG: Ein erstaunlicher Mikrokosmos. Wenn Sie das Jüdische definieren als eine Art von
Gemeinschaft, in der man auf Zusammengehörigkeitsgefühl setzt, aber nicht in der Art und Weise,
dass andere ausgegrenzt werden, sondern dass man eine Heimat hat, dann ist das, glaube ich, ein
Gedanke, der entweder jeder Religion zugrunde liegt oder jeder Religion zugrunde liegen sollte. Das
führt mich wieder in die Zeit des 19. Jahrhunderts nach Czernowitz zurück, als man vielleicht eine Art
goldenes Zeitalter hatte: Es gab eine Vielzahl an kultureller Konkurrenz, auch konfessioneller. Eine
Vielzahl an Kirchen, eine Vielzahl an Bildungseinrichtungen, Theatern, einen Pluralismus von
Konfessionen, von Anschauungen, auch von Heimaten - im Plural. Könnten wir uns auch heute die
Frage stellen, wie modern der Ansatz ist, dass verschiedene Heimatbegriffe oder
Zugehörigkeitsweisen nebeneinander existieren?
Herbert Rubinstein: Wir können es umschreiben mit Toleranz. Und mit Menschenwürde.
RAG: Ein bisschen möchte ich auf Ihren Gedanken des Tätigwerdens hinaus. Ihr Motto war ja: 'Wir
können das Gute schaffen in der Welt, aber man muss ein bisschen nachhelfen'. Dieser
Tätigkeitsaspekt, wie kriegen wir den hin? Wenn wir sehen, ein anderer tut etwas, wenn wir sehen,
die jüdische Gemeinde hat die Städtepartnerschaft mit Czernowitz vorangetrieben oder
vorausgedacht, dann ist es vielleicht auch im Interesse des gesamten Gemeinwesens - ich spreche
hier von Düsseldorf, aber ein bisschen stellvertretend für andere Gemeinwesen und Gemeinschaften
- zu überlegen, wie man so ein Gebilde mit Leben erwecken könnte.
Herbert Rubinstein: Es ist generell die Frage, wie füllt man Städtepartnerschaft aus. Dass diejenigen,
die sich dafür engagieren, in den unterschiedlichsten Städten auch miteinander vieles umsetzen, und
und und. Es kommt auf die Engagierten an. Es wird sich ja vielleicht noch weiterentwickeln und es
wird noch viel kommen. Und wenn es auch bekannt gemacht wird, dass Menschen sehen: 'Ok, diese
Städtepartnerschaft ist nicht nur ein Stück Papier, sondern es ist ein Austausch mit Menschen mit
allem möglichen, was dazugehört', dass vielleicht da eine Welle loslegt und andere sich auch
anfangen zu betätigen. Natürlich haben wir, wenn ich Düsseldorf nehme, mehrere
Städtepartnerschaften. Das heißt, gibt es die Möglichkeit, auch mit den anderen Städten dieses
Ganze auf irgendeine Art und Weise zu beflügeln? Aber es bewegt sich. Wir haben hier im Jungen
Schauspielhaus 44 Jugendliche gehabt, davon waren 22 aus Warschau und 22 aus Czernowitz, und
die haben 5 Tage lang Workshops gemacht und sich ausgetauscht und der Stefan Fischer-Fels, der
das Junge Theater leitet, war begeistert, was da für ein Input gewesen ist. Und dann komme ich zu
dem Buch 'Blinde Kuh mit dem Tod'. Eine Graphic Novel. Wir haben es einmal vor 3 Jahren in
Ukrainisch herausgebracht, in Czernowitz. Es sind Bewegungen, Geschichten, die einfach
nachvollzogen werden können.

RAG: Ich möchte mich ausdrücklich bedanken und noch einmal sagen, dass die Vorstellung Ihres
Hörbuchs 'Meine vier Leben' mir ein Anliegen war, weil man, wenn man Sie nicht kennt, meinen
könnte, hier spricht jemand von sich selbst. Darum geht es zwar, aber er musste auch ein klein
bisschen dazu gebracht werden. Und das ist auch eine Kunst, das haben wir, sie haben es eingangs
gesagt, Jan Rohlfing und den Sprechern und Koproduzenten dieses Hörbuchs zu verdanken. Ich
möchte Ihnen sehr danken für Ihre Offenheit und Ihre Botschaft, von der ich denke, dass sie wichtig
ist und ernst genommen werden sollte - gerade auch von Menschen, die diese Zeiten nicht erlebt
haben, die sich nicht vorstellen können, wie man in einer Stadt aufwachsen kann, die zwei
Weltkriege erlebt, die drei/vier verschiedene Regimes überlebt hat, und wie man selber als Mensch
durch diese verschiedensten Schicksale hindurch kommt und dabei so viel mitnehmen kann an
innerem Reichtum, an Erinnerungen und an dem, was man an andere weitergeben kann. Man sieht,
wie lebendig die Projekte sind, die Sie mit gestalten. Und vielleicht stecken Sie ja schon im fünften
Leben.
Herbert Rubinstein: Vielleicht - Katzen haben 7 Leben.
RAG: Ich freue mich darauf, dass wir noch vieles von Ihnen mitbekommen werden und bin dankbar
dafür, dass wir als Düsseldorfer Sie bei uns haben.
Herbert Rubinstein: Und ich richte einen Appell an Sie: Bleiben Sie Gesprächspartner!
Das Interview mit Herbert Rubinstein führte Gregor Kuntze-Kaufhold. Der Text ist gekürzt. Das
ungekürzte Interview senden wir Ihnen gerne auf Anfrage.
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